Pflege – besser als ihr Ruf

28.11.2018

6 Minuten Lesedauer

Pflege – besser als ihr Ruf

Ein Kommentar von MdB a.D. Elisabeth Scharfenberg, ehemalige Sprecherin für Pflege- und Altenpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

In den vergangenen Jahren wurden in der Pflege viele neue Gesetze auf den Weg gebracht. Aber stärken diese Gesetze die Pflege wirklich? Stärken sie diejenigen, die in der Pflege arbeiten?

In den nächsten 20 Jahren wird die Zahl der pflegebedürftigen Menschen auf 4 Millionen ansteigen. Das bedeutet, dass wir 44 Prozent mehr Pflegekräfte brauchen, um für diese Menschen zu sorgen.

Trotz der neuen Gesetze verstummen die Hilferufe der Pflegekräfte nicht. Sie arbeiten am Limit. Das führt bei vielen zu Frust, Resignation, Krankheit und schließlich zur Berufsaufgabe. Diejenigen die bleiben, müssen für andere mitarbeiten. Unzufriedenheit und das Gefühl der Machtlosigkeit nehmen zu.

Redet nicht über uns – redet mit uns! Wenn es um den Ruf der Pflege geht, sind auch die, um die es geht, gefragt. Deshalb habe ich 2016 im Rahmen einer Umfrage alle Pflegenden gefragt, welche Verbesserungen sie im Job durchsetzen würden, wenn sie könnten. Wir haben über 9.000 Verbesserungsvorschläge erhalten.

Die meisten nannten eine bessere Vergütung als vordringliches Ziel, die zweithäufigste Forderung lautete: „Mehr Personal!“
Auch ich sehe die Personalfrage als Dreh- und Angelpunkt. Belastende Arbeitsbedingungen, mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine Dienstplangestaltung, die wenig Freizeit vorsieht. Wochenendarbeit, geteilte Dienste, Doppelschichten und häufiges Einspringen werden kritisiert.

Der Personalnotstand wird sich weiter zuspitzen. Pflegekräfte bewerben sich mittlerweile nicht mehr bei den Einrichtungen, sondern die Einrichtungen bei Pflegekräften. Die Zeitarbeit in der Pflege floriert und Leasingfirmen verdienen sich goldene Nasen.

Die Pflege braucht nicht nur mehr Personal, sondern langfristige Arbeitsverträge und familienfreundliche, arbeitnehmerorientierte Arbeitsbedingungen. Wenn der Pflegeberuf für Frauen attraktiv bleiben soll, muss es mehr Angebote für Kinderbetreuung geben.

Hohe Krankenstände sagen oft mehr über Führungsqualität und Dienstplanung aus, als über den Gesundheitszustand der Mitarbeiter.

Wir müssen mehr in Pflege investieren. Werden Personalbemessungssysteme eingeführt, werden wir feststellen, dass es dafür nicht genug Pflegekräfte gibt. Auch Pflegekräfte aus dem Ausland kommen und bleiben nur, wenn sich die Gesamtsituation verbessert.

Viele setzen Private Träger gleich mit Profitgier, schlechter Pflege, schlechter Bezahlung und Ausbeutung von Pflegekräften. Schubladen werden nur allzu gerne bedient. Privat bedeutet schlecht, Kirche und Wohlfahrt bedeutet automatisch gut. Ganz so einfach ist es nicht. Es kommt immer auf den Einzelfall, die einzelne Einrichtung, einzelne Personen an.

Ich selbst bin Mitglied im Aufsichtsrat eines Diakonischen Werkes mit Pflegeeinrichtungen und ambulanten Diensten. Auch dort wird nicht für Gottes Lohn gearbeitet. Wirtschaftlichkeit spielt bei allen Trägern eine Rolle.

Pflege ist besser als ihr Ruf – davon bin ich überzeugt. Aber „Sex sells!“ – Skandale sind interessanter als Einrichtungen, die ausgezeichnet pflegen.
Warten Sie nicht auf den Ritter auf dem weißem Ross der Ihre Wünsche erfüllt.

Machen Sie sich fit für die Zukunft. Schauen Sie, wo Ihre Probleme liegen und wie sie diese beheben können. Bringen Sie Vorschläge, sprechen Sie Probleme an, gestalten Sie ein gutes Arbeitsumfeld.

Menschen die Ihre Unterstützung brauchen interessiert nicht „der Ruf der Pflege“, sondern die konkrete Versorgung vor Ort in Ihren Einrichtungen.

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Elisabeth Scharfenberg saß von 2005 bis 2017 als Abgeordnete für Bündnis 90 / Die Grünen im Deutschen Bundestag und fungierte als Fraktions-Sprecherin für Pflegepolitik.

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Zuletzt Aktualisiert am: 23.02.2024

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