Frisch verliebt im hohen Alter

08. Mai 2018

Frisch verliebt im hohen Alter

Auch im hohen Alter ist Verliebt sein noch möglich. Für viele wahrscheinlich unvorstellbar. Margarete Bestgen und ihr "Willi" beweisen das Gegenteil.

Das Leben hat für Margarete Bestgen viele Wirren und Wendungen bereitgehalten. Aber mindestens eine Konstante gibt es: die Willis.
Ihr Vater hieß so, ihr Ehemann, der Sohn und ein lieber Cousin. Dass es einen weiteren Willi geben würde, der ihr so wichtig wird, hätte sie nicht vermutet. Doch dann verliebte sie sich im hohen Alter. In Willi Stricker.

Und so lief das Kennenlernen: Margarete, 88 Jahre alt, lebt im Betreuten Wohnen einer Korian-Einrichtung in Eitorf. Eines Tages – vor rund eineinhalb Jahren – beschließt sie, ihre Bücher dem angeschlossenen Pflegeheim zu übergeben. Das Apartment, in das sie gezogen ist, ist zwar schön und hat einen Balkon, aber es fehlt an Platz.

Beim Kramen nimmt sie wahr, dass ein Bewohner vom Balkon in den Mehrzweckraum gekommen ist und mit seinem Rollator stehen bleibt.

Es ist Willi Stricker, der hier – kaum 70 Meter Luftlinie entfernt von ihrer Wohnung – in der stationären Pflege untergebracht ist. Der 81-Jährige, quasi ein Jungspund, spricht sie an. „Wir konnten uns sofort über alles Mögliche unterhalten“, sagen die beiden, beinahe unisono. Eine Stunde später gibt sie das Zeichen. „Wir können gern öfter miteinander sprechen.“

Fortan guckt immer der eine, wo die andere ist. Und umgekehrt. Es wird Liebe daraus. „Seitdem nenne ich ihn Willi, den Fünften“, sagt sie und er dreht lachend den Kopf zu ihr.

Die Geschichte ist genau so niedlich, wie die beiden aussehen, wenn sie auf dem Sofa in Margaretes Wohnung sitzen, die Köpfe aneinander gelehnt.

„Es ist sehr schön zu zweit, wir haben zum Beispiel Karneval miteinander verbracht oder sitzen einfach nur zusammen. Aber vor allem haben wir Spaß“, sagt sie. Da sich die zwei nicht mehr gut bewegen können, ist ihr Aktionsradius eingeschränkt. Sie nehmen’s gelassen: „Manchmal schlafen wir auch nebeneinander ein, der eine auf dem Sessel, der andere auf der Couch. Und wenn wir aufwachen, freuen wir uns.“

Musik spielt für beide eine wichtige Rolle. Er mag Rudolf Schock, sie den „Zillertaler Hochzeitsmarsch“. Manchmal singt er ihr sogar etwas vor. „Ich habe in meinem Herzen da drinnen einen wunderbaren Schmerz“, zitiert Stricker den Operettensänger.

Was ihm an ihr gefällt: „Ihr ganzes Wesen. Für mich war es Liebe auf den ersten Blick.“

Was sie an ihm schätzt: „Sein Inneres, das Verstehen, die Seele. Das ist für mich wichtiger als Geld und Gut. Da habe ich ohnehin nie nach geschaut.“

Eigentlich hatte Margarete vor, wieder zurück nach Bayern zu gehen, weil ihr das Klima im Süden des Landes besser behagt. In München hat sie zudem eine gute Zeit ihres Lebens verbracht. Doch dann traf sie Willi und entschied zu bleiben.

Beide haben viel erlebt.

Margarete hat 5 Kinder zur Welt gebracht, 3 Söhne und 2 Töchter. Als eine stirbt, fällt sie in eine tiefe Krise. Schon in jungen Jahren hat sie Dinge erlebt und Probleme gelöst, die für mehrere Leben reichen. Ihr Mann stirbt plötzlich und sie steht allein mit dem Nachwuchs da, das Haus ist nicht abbezahlt. Sie versorgt und arbeitet einfach weiter. Macht den Führerschein, vermietet Zimmer im Haus, kocht und wäscht für 16 Personen. Sie erleidet einen Herzinfarkt, ohne dass sie es merkt.
Sie kommt wieder auf die Beine, schult um auf Kauffrau, zieht nach München, weil es dort eine interessante Stelle gibt, als Filialleiterin. Sie wohnt sogar im Wohnwagen und arbeitet bis sie 80 Jahre alt ist. „Mein Optimismus, mein starker Wille und mein Humor haben mich am Leben gehalten“, sagt Margarete.

Heute hat sie 10 Enkel, der Lebensmut ist zurückgekehrt – auch dank Willi.

Stricker, in Merten an der Sieg geboren, ist im Krieg groß geworden und erlebt die Zeit danach intensiv – mit Armut, Hunger und mangelnden Perspektiven. Eigentlich wäre er gern Schneider geworden, aber bevor er seine Lehrstelle antreten kann, stirbt der Meister. Er lernt stattdessen Fahrrad- und Motorrad-Mechaniker, später Schlosser. Er ergreift immer die nächste sich bietende Chance und arbeitet sich fleißig nach oben. Bis zum Maschinenwart.
Stolz erzählt er von seinem Hobby Bergsteigen („bis 4000 Meter“) und seiner Zeit bei der Freiwilligen Feuerwehr. „Ich hab sogar mal dem berühmten Willi Millowitsch bei einer Theateraufführung hier in Eitorf Bescheid gesagt, dass er nicht rauchen darf, als ich Dienst hatte“, sagt er. „Da war er nicht begeistert“.

Heute ist Willi Stricker Vorsitzender des Heimbeirats. Die Feuerwehr-Vergangenheit sorgt dafür, dass er öfter mal in alte Muster verfällt. Nämlich dann, wenn die Feuerlöscher zugestellt werden. „Dat darf nit sein“, sagt er und die Tatsache, dass er Rheinländer ist, lässt sich nicht verleugnen.

Wie finden das eigentlich die anderen, dass zwei betagte Menschen zum Liebespaar werden? „Zuerst hat man Witze gemacht und gesagt: ‚Ach die Turteltäubchen‘ und ‚Wann wird denn geheiratet?‘, erzählt Margarete. „Da habe ich gesagt: Nächste Woche um halb drei“, sagt Willi, und unterstreicht die Tatsache, dass er ein Witzbold ist. Inzwischen ist die gelebte Zweisamkeit absolute Normalität in den beiden Einrichtungen in Eitorf.

Und die Beziehungsziele? Sind schlicht. Es soll einfach so lange wie möglich so weitergehen wie jetzt.

Das bisschen Sehnsucht nach Bayern lebt Margarete auf ihre Art aus. Dann legt sie entsprechende Musik auf, zieht ein Dirndl an und betrachtet ihr selbst gemaltes Bild vom Königssee, das in ihrem Schlafzimmer hängt. Aber dann kehrt sie zurück ins Wohnzimmer, wo der Willi auf dem Sofa sitzt und das Leben ist gut.

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