01. März 2022
„Es wird in einzelnen Häusern Aufnahmestopps geben“
Marc-Alexander Burmeister ist Arzt und Deutschland-Chef des größten privaten Pflegeheimbetreibers, Korian. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 14.02.2022 kritisiert er die stigmatisierende Impfpflicht in Pflegeheimen und verteidigt die Gehälter für Mitarbeitende
INTERVIEW: ELISABETH DOSTERT UND CHRISTINA KUNKEL
In seinem kargen Münchner Büro hinter Glasfronten zeigen Fotos, worum sich die Arbeit von Marc-Alexander Burmeister dreht. Darauf zu sehen: unbeschwert lachende Senioren, oft gemeinsam mit einer Pflegerin oder einem Pfleger. Seit September leitet der 53-jährige Arzt das Deutschland-Geschäft des größten privaten Pflegeheimbetreibers, der Korian AG. Er muss zusammenbringen, was für viele schwer zusammengeht – würdevolle Pflege und die wirtschaftlichen Interessen eines großen Konzerns.
Herr Burmeister, in Bayern soll die einrichtungsbezogene Impfpflicht erst mal nicht kommen, zumindest nicht wie ursprünglich geplant Mitte März. Sind Sie erleichtert?
Es ist zumindest ein klares Zeichen. Jetzt brauchen wir Klarheit auf Bundesebene. Es kann nicht sein, dass in jedem Bundesland etwas anderes gilt.
Wie stehen Sie grundsätzlich zu einer Impfpflicht?
Ich bin für eine allgemeine Impfpflicht, Risikogruppen und Kinder mal ausgenommen. Aber ich bin auch Arzt und deshalb vielleicht offener. Wir haben über die zugelassenen Impfstoffe mehr Daten als zu jedem anderen Medikament, das jemals auf der Welt verabreicht wurde. Wir haben viel Leid gesehen, viele Einschränkungen erfahren. Wir haben gesehen, dass alle anderen Maßnahmen uns nur ein wenig über die nächste Welle bringen. Solange wir keine hohe Grundimmunisierung erreichen, die zumindest schwere Verläufe vermeidet, kommen wir da nicht raus.
Glauben Sie, dass die allgemeine Impfpflicht kommt?
Ich habe große Zweifel. Dazu haben wir vielleicht auch den richtigen Zeitpunkt verpasst. Andere Länder waren früher dran und auch konsequenter.
War es falsch, die Impfpflicht zunächst nur auf das Gesundheitswesen zu beschränken?
Ich sehe es kritisch, wenn die Politik sich scheut, allen die Impfung zuzumuten und nur eine bestimmte Gruppe dazu verpflichtet. Wer solche Entscheidungen trifft, muss sich der Konsequenzen bewusst sein. Das ist nicht zu Ende gedacht. Wir verschließen doch nur die Augen.
Wovor?
Wenn Gesundheitsämter Beschäftigungsverbote aussprechen, führt das zu einer Unterversorgung, vielleicht nicht flächendeckend, aber punktuell – in den Einrichtungen und in der ambulanten Pflege. Was passiert mit den Menschen, die zu Hause auf Pflege angewiesen sind? Da muss die Familie dann irgendeine Lösung suchen. Viele Pflegekräfte haben doch schon jetzt das Gefühl, dass sie in der Pandemie verheizt wurden und werden. Sie haben viel geleistet und wurden zu Recht dafür beklatscht, sie sahen Kollegen und Bewohner sterben, und jetzt werden sie stigmatisiert. Viele sagen: Jetzt reicht’s. Wer nicht in der Pflege arbeitet, zahlt vielleicht ein Bußgeld, aber die Pflegenden verlieren ihren Job und damit ihre Existenzgrundlage. Die isolierte Impfpflicht erzeugt nur Verweigerung, sie polarisiert.
Wie viele Ihrer Mitarbeitenden wollen sich nicht impfen lassen?
Im Schnitt etwa drei Prozent, das sind rund 750 Mitarbeiter über alle Bereiche hinweg.
Wie versuchen Sie, die noch zu überzeugen?
Seit Jahresanfang suchen Einrichtungsleiter und Pflegedienstleiter gezielt das Gespräch mit den Kollegen und Kolleginnen, die sich bisher nicht haben impfen lassen. Diese persönlichen Gespräche sind sehr wirksam.
Reden Sie auch selbst mit Impfverweigerern?
Wenn ich jemandem in meinem direkten Umfeld begegne, mache ich das, und dabei sehe ich echte Ängste.
Gibt es auch Führungskräfte, die sich nicht impfen lassen wollen?
Einzelne Pflegedienst- oder Einrichtungsleiter, aber wirklich sehr wenige. Da schauen wir natürlich, dass andere Personen die Gespräche mit den Mitarbeitern führen.
Gab es Anfeindungen?
Vor einzelnen Häusern gab es Demonstrationen, zum Beispiel in Baden-Württemberg. Da kamen Querdenker aus ganz Deutschland, um massiv Druck aufzubauen. Die trugen Schilder mit der Aufschrift: Hier wird geimpft. Für die Kollegen und Kolleginnen war das schwierig. Auch in Greiz in Thüringen gab es heftige Demonstrationen, da liegt unsere Einrichtung mitten im Ort. In den Häusern selbst gab es keine Anfeindungen oder Kampagnen. Wir reden viel und gehen respektvoll miteinander um, egal ob jemand sich impfen lässt oder nicht. Wir können doch Menschen, mit denen wir Jahre lang gut zusammengearbeitet haben, nicht kriminalisieren.
Wen trifft die Impfpflicht in Ihren Einrichtungen?
Alle, auch den Haustechniker, die Reinigungskräfte und Köche. Der kritische Punkt sind aber die Pflegefachkräfte, da ist die Knappheit am größten.
Gibt es regionale Unterschiede?
Wir sind da als Unternehmen ziemlich repräsentativ für ganz Deutschland. Wo die Impfquote niedrig ist, ist sie das auch in der Belegschaft. Das gilt auch für die Bewohner. Es gibt aber Ausnahmen. In Sachsen haben wir ein Haus, da sind fast alle Mitarbeiter geimpft, weil der Leiter sie überzeugt hat in einem sehr schwierigen gesellschaftlichen Umfeld.
Was passiert konkret am 16. März außerhalb Bayerns?
Wir können Ungeimpfte nicht mehr einstellen, allein das ist bei einer Fluktuation von rund 20 Prozent in der Pflege schon ein Problem. Alle ungeimpften Mitarbeiter müssen wir dem Gesundheitsamt melden. Das wird dann ein Beschäftigungsverbot aussprechen oder nicht. Wenn alle Einrichtungen am 16. März ihre Ungeimpften melden, werden das ein paar Tausend sein. Das ist für die Behörden nicht zu schaffen. Bis das Gesundheitsamt antwortet, kann es Wochen oder auch Monate dauern. So lange arbeitet der Ungeimpfte weiter.
Und dann spricht das Gesundheitsamt im Landkreis A ein Verbot aus und im Landkreis B würde die gleiche Person weiter arbeiten dürfen?
Ja, aber das überrascht jetzt auch niemanden mehr. In einem Bundesland durfte man ungeimpft noch in die Geschäfte, im anderen nicht. Nur wird es jetzt verfassungsrechtlich hoch problematisch, denn es geht nicht mehr darum, ob ich in einen Laden darf, sondern darum, ob ich meinen Beruf ausüben kann und ob Menschen gepflegt werden können.
Werden die Mitarbeiter gekündigt?
Nach aktueller Interpretation schuldet der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer in diesem Fall kein Gehalt. Ob das dann zu einer Kündigung führt oder er erst einmal kein Gehalt bekommt, wird man sehen. Drei Prozent Ungeimpfte bei uns sind nur ein Durchschnittswert. In manchen Einrichtungen sind es auch 20 Prozent. Wenn die alle ein Beschäftigungsverbot erhalten, werden wir die Versorgung nicht aufrechterhalten können, weil wir die gesetzlich vorgegebenen Quoten für Fachkräfte nicht erfüllen können.
Und dann?
Es wird in einzelnen Häusern Aufnahmestopps geben.
Nehmen Sie nur keine Pflegebedürftigen mehr auf oder kündigen Sie auch Bewohnern?
Das genau ist die Abwägung. Das muss der Einrichtungsleiter mit dem Gesundheitsamt abstimmen, glücklicherweise sitzen da auch zur Empathie fähige Menschen. Manchmal hilft es auch, Bewohner innerhalb der Region in andere Häuser zu verlegen. Nur in den Regionen, wo wir das Thema haben, haben alle anderen Anbieter das auch.
Wo denn?
Der Schwerpunkt der kritischen Einrichtungen liegt im Südosten, im Osten und in Baden-Württemberg.
Gab es in der Pandemie mehr Kündigungen als in gewöhnlichen Zeiten und hat die sich abzeichnende Impfpflicht die Zahl der Kündigungen noch mal erhöht?
Zwei Mal ja. Die Fluktuation hat deutlich zugenommen in allen Branchen und in der Pflege überproportional durch die große Dynamik in den Gehaltsstrukturen.
Was meinen Sie damit?
Es gibt Anbieter, die zahlen Begrüßungsprämien für Fachkräfte von mehreren Tausend Euro, und die Wechselwilligen steigen dann in einer höheren Gehaltsklasse ein.
Zahlen Sie auch Begrüßungsprämien?
Ja, für Pflegefachkräfte. 1000 Euro bei Antritt und weitere 1000 nach sechs Monaten, das ist so der Standard.
Gibt es auch Halteprämien oder gar Impfprämien?
Nein. Man darf die Fluktuation auch nicht überbewerten. Solange die Hälfte der Belegschaft einer Einrichtung stabil ist, funktioniert das System. Es geht ja nicht nur ums Geld, sondern auch um ein nettes Team oder verlässliche Schichtplanung.
Wie viele offene Stellen haben Sie gerade?
Wir suchen an jedem Standort Fachkräfte und haben überall Stellen ausgeschrieben.
Haben Sie denn den Eindruck, dass die Wertschätzung für die Pflege durch die Pandemie zugenommen hat?
Die Bedeutung dieses Berufes ist sichtbarer geworden. Klar können nicht alle immer weiter klatschen, aber das war wichtig. Früher war Pflege sehr abstrakt, Krankheit, Alter, weit weg. Mittlerweile haben viele Menschen selbst pflegebedürftige Angehörige, die Bedeutung der Pflege wird greifbarer.
Wenn fairer Lohn und faire Arbeitsbedingungen so wichtig sind, warum tut sich Ihre Branche so schwer mit Tarifverträgen? Für wie viele der knapp 250 Einrichtungen hat Korian einen Tarifvertrag?
Vier. Aber das liegt nicht an uns. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad auf der Arbeitnehmerseite ist relativ gering. Es fehlt uns als Arbeitgeber einfach schlicht der Verhandlungspartner. Wir sind offen für Haustarifverträge. Es braucht aber auch nicht unbedingt einen Tarifvertrag, um bundesweit eine vergleichbare Tarifstruktur zu haben. Immerhin gibt es jetzt das Tariftreuegesetz. Von September an dürfen Einrichtungen ihre Pflegeleistungen nur noch über die Pflegekasse abrechnen, die sich am Tariflohn in der Region orientieren. Die Löhne in der Pflege müssen anziehen, aber das gilt auch für Erzieher und Polizistinnen. Und am Ende muss das Ganze auch finanzierbar bleiben.
Die Bundesregierung hat gerade die Erhöhung der Löhne in der Pflege beschlossen. Inwiefern betrifft das Ihre Mitarbeitenden?
Die Löhne unserer Fachkräfte liegen heute schon über dem Mindestlohn, der zum 1. Mai gilt. Das neue Tariftreuegesetz, das jetzt erst verabschiedet wurde, enthält deutliche Steigerungen, sowohl für Hilfs- als auch Fachkräfte, die deutlich über den bis vergangene Woche bekannten Werten liegen. Da müssen wir standortspezifisch anpassen. Es gibt aber auch Häuser, die jetzt schon über den Mindestlöhnen liegen, die ab 2023 gelten.
Marc-Alexander Burmeister, 53, leitete vor seinem Wechsel zu Korian das Deutschland-Geschäft des Pharma- und Medizinbedarfsunternehmens B. Braun. Davor hatte er bis 2003 als Anästhesist und Intensivmediziner in Hamburg gearbeitet. Das Unternehmen mit in Deutschland knapp 250 Einrichtungen und mehr als 24 000 Beschäftigten gehört zum börsennotierten französischen Konzern Korian AG.
(Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 14. Februar 2022; München Seite 18, Nord Seite 18, Bayern Seite 18; © Süddeutsche Zeitung GmbH, München. Mit freundlicher Genehmigung von Süddeutsche Zeitung Content) |
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